Donnerstag, 31. Oktober 2013

"...UND GÜRT MIR UM DEN DEGEN."


HEINRICH HEINES Gedicht "DIE GRENADIERE" erzeugt eine jener Stimmungen, die den Leser frösteln läßt. Mit wenigen Sätzen erschafft HEINE ein großartiges Bild. Große Geschichte und individuelle Tragik sind eng darin verbunden. Die GRANDE ARMÉE ist geschlagen. Zwei Grenadiere sind auf dem Rückmarsch in die Heimat. Als sie nach Deutschland kommen, erfahren sie die traurige Nachricht, daß die Sache Napoleons verloren ist. Die wenigen Sätze schlagen geographisch wie historisch einen weiten Bogen. Der Blick geht von Rußland über Deutschland nach Frankreich. Die dargestellte Zeitspanne umfaßt den Rückzug der Großen Armee, die Niederlage Frankreichs und die Gefangennahme des Kaisers. Sie bildet den Hintergrund zu dem Schicksal der beiden Grenadiere, die, weil sie in Gefangenschaft waren, zeitversetzt zum Rückzug der Großen Armee als Kriegsheimkehrer in die Heimat zurückkommen. Und wie das oft bei Kriegsheimkehrern geschieht, kommen sie von der einen desolaten Situation in die andere:
"Nach Frankreich zogen zwei Grenadier,
die waren in Rußland gefangen,
und als sie kamen ins deutsche Quartier,
sie ließen die Köpfe hangen.

Da hören sie beide die traurige Mär:
Daß Frankreich verloren gegangen,
besiegt und zerschlagen das große Heer-
und der Kaiser, der Kaiser gefangen."

Beide klagen ob der Situation und wollen sterben. Doch der eine hat Frau und Kind, die ihn brauchen. Dies kümmert jedoch den anderen nicht, der "weit beßres Verlangen" in sich trägt. Er ist von höheren Idealen beseelt. Diese sind der Kaiser und Frankreich:
"Gewähr mir Bruder, eine Bitt:
Wenn ich jetzt sterben werde,
so nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band
sollst du aufs Herz mir legen;
die Flinte gib mir in die Hand,
und gürt mir um den Degen."
Ganz Patriot möchte er in Frankreich begraben sein. Dies soll mit allen militärischen Ehren geschehen. Stolz auf seine militärischen Erfolge, soll ihm sein Orden aufs Herz gelegt werden, das für Frankreich schlägt. Soldat bis zum Ende und auch noch im Grab und darüber hinaus, möchte er, mit der Flinte und dem Degen bewaffnet, beerdigt werden. Nicht einmal im Grab will er sich von seinen Waffen trennen. Sie gehören zu ihm, wie nichts in der Welt. Ein Bild voller Symbolik!
Trotz allen Elends, das ihm sein Beruf und der Feldzug gebracht hat, hält der Grenadier also unerschütterlich an seinen soldatischen Tugenden fest.
Doch es gibt noch einen anderen, viel wichtigeren Grund, warum er seine Waffen im Grabe tragen möchte. Er möchte dort nicht wie eine gewöhnliche Leiche vor sich hin modern, sondern "Wache" stehen bzw. "liegen", bis der Kaiser ihn braucht. Wenn er dann Kriegslärm hört und der Kaiser über sein Grab reitet, will er sofort bewaffnet aus dem Grab steigen und den Kaiser beschützen. Er möchte also seine Waffen für den Ernstfall griffbereit haben. Allzeit bereit und immer im Einsatz. Eine makabere Szene:
"So will ich liegen und horchen still,
wie eine Schildwach, im Grabe,
bis einst ich höre Kanonengebrüll
und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
viel Schwerter klirren und blitzen;
dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab-
den Kaiser, den Kaiser zu schützen!"
 Da kann man nur sagen: IL FAUT MARCHER AU CANON und VIVE L'EMPEREUR!
Was bedeutet dies?- Der Grenadier ist nicht wirklich tot, Frankreich ist nicht endgültig besiegt, ebensowenig der Kaiser. Ideen und Ideale sind nicht totzukriegen. Sie werden wieder auferstehen. Es wird kommen der Tag...
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Man beachte das zweimalige "der Kaiser" bzw. "den Kaiser" in Vers 2 und im letzten Vers!
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HEINRICH HEINE: BUCH DER LIEDER (Junge Leiden/ Romanzen, Nr. 6)
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R.



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